Von Gaspar de Carvajal ins 21. Jahrhundert
Die ersten Berichte, die im Europa über den Amazonas ankamen, stammten von Gaspar de Carvajal. Er war ein spanischer Dominikanermönch, der die Expedition von Francisco de Orellana auf dem Amazonas als Chronist begleitete. Seine Schriften liefern wertvolle Informationen über die indigenen Völker, die im 16. Jahrhundert in der Amazonasregion lebten.
Gaspar de Carvajal
Carvajal beschrieb große und wohlhabende Dörfer entlang des Flusses sowie komplexe soziale Strukturen mit „großen Damen, die Eigentümerinnen weitläufiger bewohnter Gebiete“ waren. Er stellte auch fest, dass die Ureinwohner, denen er begegnete, erfahrene Navigatoren und Händler waren, die mit Stämmen im Landesinneren Handel trieben. Carvajals Schriften erwähnen insbesondere die “Omágua” (Heute Kambeba und Kokama), ein Volk, das er als “sehr zahlreich und reich” beschrieb und das am Rio Solimões lebte, einem Abschnitt des Amazonas. Er hob ihre herausragenden Navigationsfähigkeiten und ihren florierenden Handel mit anderen Stämmen hervor.
“Wir fanden viel Geschirr in den verschiedensten Formen und Größen: Es gab riesige Krüge und Kannen von mehr als 25 arrobas, und andere kleine Gefäße wie Teller, Wappenschilder und Lampen, alles das feinste Geschirr, das man je in der Welt gesehen hat, denn nicht einmal das von Malaga kann sich damit messen. Es ist in allen Farben glasiert und emailliert, so lebendig, dass es erstaunlich ist, und weist zudem so harmonische Muster und Figuren auf, dass sie natürlich wie die Römer wirken und zeichnen.”
([[Gaspar de Carvajal]] (1542), S.47)
Zweifel an Carvajals Berichten
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Carvajals Schriften von phantastischen Elementen durchsetzt sind, die wahrscheinlich von der europäischen Mythologie beeinflusst wurden, insbesondere von Geschichten über Amazonenkriegerinnen. Zum Beispiel identifizierte er eine Region am Amazonas als das “Land der Amazonen”. Moderne Historiker betrachten diese Passagen mit Vorsicht und erkennen den Einfluss der europäischen Vorurteile auf Carvajals Interpretationen an. Nichtsdestotrotz bleiben seine Schriften eine wichtige Quelle für das Verständnis des Lebens und der Kulturen der indigenen Völker, die zur Zeit des ersten europäischen Kontakts im Amazonasbecken lebten.
Spätere Expeditionen
Spätere Expeditionen fanden den Reichtum, den Carvajal beschrieben hatte nicht (mehr) vor. Die Realität, die nachfolgende Expeditionen vorfanden, entsprach häufig nicht den glanzvollen Beschreibungen Carvajals. Stattdessen stießen sie auf eine Region, die von Krankheiten und Konflikten stark betroffen war, was die einst blühenden Zivilisationen stark dezimierte oder gar verschwinden ließ.
Betty Meggers
Das ging so weit, dass Betty Meggers, eine einflussreiche Anthropologin und Archäologin, noch im der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert Carvajals Bericht misstraute und argumentierte, dass der Amazonas ein “falsches Paradies” sei, das keine dichten Bevölkerungen oder komplexe Gesellschaften ernähren könne. Sie und ihr Ehemann Clifford Evans stellten die Hypothese auf, dass Kulturen in Gebieten, die als Orte komplexer Gesellschaften bekannt sind, wie z. B. die Llanos de Mojos im bolivianischen Amazonasgebiet und die Insel Marajó, aus anderen Regionen in das Tiefland eingewandert seien.
Meggers betonte, dass die kulturelle Komplexität der Amazonasgesellschaften, einschließlich ihrer Kunst, Architektur und sozialen Strukturen, nicht nur aus lokalen Traditionen resultierte, sondern auch von externen Einflüssen geprägt war. Ihre Analysen zeigten, dass die Entwicklung dieser Kulturen nicht als rein autochthon betrachtet werden kann, sondern dass sie in einem größeren kulturellen Kontext stehen.
Sie argumentierte auch, dass die großen archäologischen Stätten, die in der Amazonasregion identifiziert wurden, das Ergebnis aufeinanderfolgender Wiederbesiedlungen derselben Orte durch kleine, halb sesshafte Bevölkerungen waren. Sie glaubte, dass die Bevölkerungsdichte, die soziale Komplexität und die Sesshaftigkeit durch die Umwelt begrenzt waren.
Neubewertung
Für eine Neubewertung sorgten dann vor allem Archäologen wie Michael Heckenberger und Eduardo Goes, die eine entscheidende Rolle bei der Neubewertung der archäologischen Entdeckungen und der Kulturen am Amazonas spielen. Ihre Arbeiten tragen dazu bei, die Wahrnehmung der präkolumbischen Geschichte der Region zu verändern und die Komplexität der indigenen Gesellschaften hervorzuheben.
Michael Heckenberger
Michael Heckenberger ist ein prominenter Archäologe, der sich intensiv mit den präkolumbischen Kulturen des Amazonas beschäftigt hat. Er hat bedeutende Beiträge zur Erforschung der sozialen und politischen Organisation der indigenen Völker geleistet und dabei die Existenz komplexer Gesellschaften im Amazonasgebiet aufgezeigt. Seine Arbeiten haben dazu beigetragen, das Bild einer „unberührten“ Natur zu hinterfragen und die Rolle der Menschen in der Gestaltung der Landschaft zu betonen.
Eduardo Neves Góes
Eduardo Neves Góes ist ein führender brasilianischer Archäologe, der sich mit der Geschichte und den Kulturen der Amazonasregion beschäftigt. Er hat die Vorstellung, dass die Amazonasregion vor der Ankunft der Europäer kaum besiedelt war, entscheidend in Frage gestellt. Neves argumentiert, dass bis zu 10 Millionen Menschen in der Region lebten und dass diese Kulturen über komplexe landwirtschaftliche Praktiken und soziale Strukturen verfügten. Seine Forschung zeigt, dass die indigenen Völker nicht nur die Landschaft bewohnten, sondern sie aktiv formten und nachhaltig bewirtschafteten.
Einfluss auf die Neubewertung
Die Arbeiten von Heckenberger und Neves haben maßgeblich zur Entstehung eines neuen Verständnisses der Amazonasregion beigetragen, das die indigenen Kulturen als dynamische und komplexe Gesellschaften anerkennt. Diese Neubewertung hat weitreichende Implikationen für die Dekolonialisierung, da sie die kolonialen Narrative herausfordert und die Bedeutung der indigenen Perspektiven in der Geschichtsschreibung betont. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschungen von Stephen Rostrain, Michael Heckenberger und Eduardo Neves Góes entscheidend für die Neubewertung der archäologischen Entdeckungen und der Kulturen am Amazonas sind, indem sie die Komplexität und den Reichtum der indigenen Geschichte und deren Einfluss auf die Umwelt hervorheben.
Quellen
- Real academia de historia: Gaspar de Rodas Carvajal (Aufruf am 03.08.2024)
- Fr. Gaspar de Carvajal: Descubriemento del Rio de las Amazonas.pdf (Sevilla, 1894)
- Marcos Pereira Magalhães: Amazônia Antropogênica (Museu Paraense Emílio Goeldi, 2016)
- Marcos Pereira Magalhães: A Humanidade e a Amazonia – 11 mil anos de evolulcaevolução em Carajas (Museu Paraense Emílio Goeldi, 2018)
- Michael Heckenberger1, Eduardo Goes Neves: Amazonia Archaeology (Annu. Rev. Anthropol., Gainesville, 2009)
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