Landesweite Kommunalwahlen in Brasilien
Bearbeitet mit den Ergebnissen und Analysen des zweiten Wahlgangs der Kommunalwahlen am 30. Oktober.
Im Oktober 2016 fanden in Brasilien landesweit Kommunalwahlen statt. Ein Wahlgang war am 02. Oktober. In Städten über 200.000 Einwohner kann es auch einen zweiten Wahlgang geben, der am 30. Oktober stattfand. Der Zeitpunkt der Wahl am ersten Sonntag im Oktober wird durch die Verfassung vorgegeben.
Gewählt wurden der Präfekt und der Vize-Präfekt in direkter Wahl. Darüber hinaus wurden Vereadores gewählt. Die Zahl der Stadträte beginnt mit neun in Gemeinden mit unter 15.000 Einwohnern, und erhöht sich in Zweierschritten bis auf 55 Vereadores für Gemeinden mit über 8 Millionen Einwohnern. Das Mandat des Präfekten und des Vize-Präfekten beginnt laut Verfassung am 1. Januar des auf die Wahl folgenden Jahres und gilt für vier Jahre.
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Wahlrecht
In Brasilien herrscht allgemeine Wahlpflicht. Die Wahlen finden an Wahlcomputern statt. Dabei besteht die Möglichkeit „branco“, also „weiß“ zu wählen. „Weiße“ und ungültige Stimmen werden nicht als gültige Stimmen gezählt. Nur wenn die Mehrheit von schon als gültig registrierten Stimmen nachträglich für ungültig erklärt werden (z.B. wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl) wird die Abstimmung annulliert.
Um jedem Wahlberechtigten die Teilnahme an den Wahlen zu ermöglichen, besteht ein Verbot von Inhaftierung von Wählern 5 Tage, und Kandidaten 15 Tage vor der Wahl. Ausgenommen sind Personen, die auf frischer Tat erwischt wurden, sowie Beschuldigte von Kapitalverbrechen.
Das Mindestalter für Stadträte beträgt achtzehn Jahre, für Präfekt und Vize-Präfekt 21 Jahre. Ausgeschlossen von den Wahlen sind Ausländer, Wehrdienstleistende und Analphabeten. Auch kann Personen das passive Wahlrecht entzogen werden, wie zum Beispiel dem amtierenden Staatspräsidenten Michel Temer wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung.
Gewalt und Sicherheit bei den Kommunalwahlen
Vor der Wahl wurden mindestens 7 Kandidaten ermordet. Besondere Aufmerksamkeit erregte die Ermordung des führenden Kandidaten in Itumbiara, einer kleinen Stadt mit 100.000 Einwohnern im Süden des Bundesstaats Goias. Schnell war die Rede von einem politischen Mord. Jedoch hat die zuständige Behörde schnell bekanntgegeben, dass es keine Indizien für ein „Crimen Eleitoral“, ein mit den Wahlen in Zusammenhang stehendes Verbrechen gebe. Bei dem Ermordeten handelt es sich um einen Großgrundbesitzer, der ein Vermögen, alleine in Land, von 100 Millionen Reais angegeben hat.
Nach diesem Mord wurde die Anzahl von „bewaffneten Kräften“ zum Schutz der Wahlen noch einmal erhöht. Dadurch waren insgesammt etwa 25.000 Soldaten in etwa 400 Gemeinden abgestellt.
Ergebnisse der Kommunalwahlen in einzelnen Städten
Rio de Janeiro
Bei den Kommunalwahlen in Rio de Janeiro wurde der Nachfolger der Präfekten Edurdo Paes (PMDB) gesucht. Die wichtigsten Kandidaten sind Marcelo Crivella (PRB), Marcelo Freixo (PSol), Pedro Paulo (PMDB), Jandira Fagheli (PCdoB) und Flavio Bolsonaro (PSC).
In den Umfragen führte mit Abstand Bischof Marcelo Crivallo von der evangelikal-fundamentalistischen Igreija Universal. Chancen für die Stichwahl hatten auch Pedro Paulo und Marcelo Freixo, der sich sehr für die Rechte der Armen und der Favela Bewohner einsetzt. Dafür wird er aber von der Mittelschicht scharf kritisiert.
Außer den Kandidaten für das Bürgermeisteramt war hier auch eine Kandidatur zum Vereador zu beachten. Es handelt sich dabei um den Neonazi Marco Antonio Santos, der letztes Jahr „den Bachmann“ gegeben hat. Allerdings trat er nicht bei einem Facebook-Post als Hitler auf, sondern öffentlich in einem Ausschuss des Stadtrates. Er kandidierte mit Unterstützung Flavio Bolsonaros für die PSC. Und das ist über Rio de Janeiro hinaus relevant, denn die PSC ist in Brasilia an der Regierung Temer beteiligt ist.
Nach den Ergebnissen des ersten Wahlgangs erreichten Marcelo Crivella und Marcelo Freixo den zweiten Wahlgang. Diesen gewann der Bischof der evangelikalen Freikirche mit knapp sechzig Prozent. Eingehende Analysen der Wahl in Rio findet Ihr in einem gesonderten Artikel.
São Paulo
Bei den Kommunalwahlen in São Paulo waren João Doria (PSDB), Celso Russomano (PSC) und der amtierende Präfekt Fernando Haddad (PT) die bekanntesten Kandidaten.
In São Paulo führte der Kandidat der PSDB, João Doria. Seine Firma hat von 2002 bis 2016 über 10 Millionen Real Staatsgelder von PSDB-geführten Landesregierungen erhalten. Auch wenn es Haddad nach einer Aufholjagd gelungen war, auf den zweiten Platz zu kommen, reichte es nicht für den zweiten Wahlgang, denn Doria erreichte schon im ersten Durchgang eine absolute Mehrheit.
Der Sieg Dorias sollte nach Einschätzung der Medien auch den umstrittenen Gouverneur des Staates São Paulo, Geraldo Alckmin, bei der innerparteilichen Nominierung für die Präsidentenwahl 2018 stärken.
Belo Horizonte
In Belo Horizonte, der Haupstadt des Bundesstaats Minas Gerais gewann überraschend der Unternehmer Alexandre Kalil gegen João Leite. Kalil wurde neben seiner Partei PHB auch von der Partei Marina da Silvas REDE und ihrer Ex-Partei Partida Verde unterstützt.
Aber die Niederlage João Leites bietet auch bundespolitischen Sprengstoff innerhalb der PSDB. Leite war der Wunschkandidat des 2014 gegen Dilma unterlegenen Aécio Neves. Beobachter sehen darin eine Schwächung von Neves beim Kampf um die Kür zum Kandidaten zur Präsidentenwahl.
Curitiba
Curitiba ist die Hauptstadt des Bundesstaats Parana im Süden Brasiliens und Sitz des Gerichts, das für die Aufarbeitung des Skandals Lava Jato zuständig ist. Dort gewann Radael Greca, der schon von 1993 bis 1997 Bürgermeister von Curitiba war, und unter [itg-glossary glossary-id=“986″]Fernando Herique Cardoso[/itg-glossary] Minister für Sport und Tourismus.
Porto Alegre
In der ehemaligen Hochburg der Arbeiterpartei löst Nelson Marchezan Junior von der PSDB den amtierenden Bürgermeister José Fortunati (PDT) ab. Interessant ist eine Äußerung des neuen Bürgermeister über die Finanzierung des Wahlkampfs. Das Verbot von Spenden von juristischen Personen zur Unabhängigkeit der Kandidaten führen, habe aber das Gegenteil erreicht. Nie vorher in der jüngeren Geschichte sei die Finanzierung des Wahlkampfs derart aus schwarzen Kassen (Caixa Dois) erfolgt wie bei dieser Wahl.
Cuiaba
Cuiaba ist die Hauptstadt des westlichen Bundesstaats Mato Grosso. Der von der Landwirtschaft dominierte Staat wurde lange von Blairo Maggi regiert, der unter Präsident Temer Landwirtschaftsminister ist.
Maceio
Maceio ist die Hauptstadt des kleinen Bundesstaats Alagoas. Dort verlor Cicero Almeida (PMDB) gegen Rui Palmeira (PSDB). Seitdem beschuldigen sich beide Kandidaten gegenseitig der Korruption und der Verwicklung in den Skandal Lava Jato. Bundespolitisch interessant ist, dass Almeida der Wunschkandidat des Senatspräsidenten Renan Calheiros war.
Aracaju
Die Niederlage der linken Kräfte ist deutlich. Trotzdem gewann nach Marcus Alexandre (PT) im ersten Wahlgang in Rio Branco mit Evaldo Noguera (PCdoB) ein Verbündeter der PT eine weitere Landeshauptstadt, wenn auch die des kleinsten Landes Brasilien, Sergipe.
Bildquellen
- Elektronische Wahlurne: Jose Cruz|Agencia Brasil via Wikipedia
- Superior Tribunal Eleitoral: Alexandresena|Wikipedia
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