Indios – Teufelsdiener oder Edle Wilde
Als die ersten Berichte über die Ureinwohner Amerikas in Europa eintrafen, löste das eine Welle von Mutmaßungen und Spekulationen aus. Was waren das für Menschen? Waren das überhaupt Menschen? In jüdischen Kreisen wurde spekuliert, es wären vielleicht die zehn verlorenen Stämme Israels. Doch bald wich das Erstaunen praktischen Erwägungen. Während die weltlichen Mächte sich auf die Suche nach immensen Reichtümern machten, beanspruchte die Kirche die „verlorenen Seelen“.
Die Bräuche und Riten der Indigenen waren verstörend: Das war ein Werk des Teufels! Während die Kultur in Bausch und Bogen verdammt wurde, Bücher und Kultgegenstände verbrannt wurden, war der Umgang mit den Menschen selbst nicht so eindeutig. In Missionsstationen der Jesuiten wurde Krankheiten behandelt, Jose de Anchieta (1534-1597) entwickelte die „Allgemeine Sprache“ auf Basis einer Vereinfachung verschiedener Sprachen aus der Familie der Tupi-Sprachen. Das verbesserte nicht nur die Verständigung der Missionare mit den Eingeborenen, sondern auch die Verständigung der vielen Völker untereinander. Über Jahrhunderte änderte sich nicht viel. Die Weißen drangen immer weiter in die Weiten des südamerikanischen Kontinents vor, doch beachteten sie die Indios kaum. Es zählte nur das, was sie dem feindlichen Land entreißen konnten.
Der „wahre Entdecker Amerikas“
Erst der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) interessierte sich für diese so fremde Natur und diese so fremden Kulturen. Ohne negative Vorurteile war er offen für alles, was er sah: Er beschrieb die Natur und die Kultur. Und vielen der Einheimischen gilt er bis heute als der „wahre Entdecker Amerikas“.
Doch das Ansehen der Urbevölkerung im Land selbst verbesserte sich nicht. Im Zug der großen Auswandererwellen bemühte sich die Regierung, die Indios als Landstreicher, Diebe und Mörder darzustellen. Sie wurden regelrecht gejagt und ihre Mörder genaßen hohes gesellschaftliches Ansehen.
Ein weiteres dunkles Kapitel waren die Völkerschauen, in denen Angehörige fremder Kulturen regelrecht ausgestellt wurden. Autoren wie Karl May feierten in Anlehnung an Rousseau den edlen Wilden und die Künstlergruppe „Die Brücke“ ließ sich von der primitiven Kunst inspirieren. Aber egal, ob nun positiv oder negativ gewertet: Die indigenen Völker wurden als unzivilisierte Wilde gesehen.
Was ist Zivilisation?
Das änderte erst Claude Levi-Strauss (1908-2009). Der französische Ethnologe und Philosoph reiste zwischen 1935 und 1939 mehrmals nach Mato Grosso und an den Amazonas. In Werken wie „Die elementaren Strukturen“ dokumentierte er die internen Organisationsformen der indigenen Völker als Aspekte einer Zivilisation.
Mitte des 20. Jahrhunderts setzten auch in Brasilien selbst Veränderungen der Wahrnehmung ein. Diese sind mit Namen wie Marechal Rondon (1865 – 1958) und Brüdern Villas-Boas (Orlando: 1914 – 2002; Claudio: 1916 – 1998 und Leopold: 1918 – 1961). Ein Meilenstein zum Schutz der Indigenen war die Gründung des Xingu-Nationalparks im Jahr 1961. Ein weiterer wichtiger Name ist – wieder einmal – Darcy Ribeiro: Mit ihm verbindet sich die Erkenntnis, dass die Kulturen der indigenen Völker zum kulturellen Erbe Brasiliens zählen. Die Gründung des Museo do Indio in Rio de Janeiro und die Einführung von Gedenktagen wie dem 19. April als „Tag der Indios“ und dem 20. Januar als „Tag des indigenen Bewusstseins“ markieren diesen Wandel. Schließlich wurde im Jahr 2011 ein Gesetz verabschiedet, das die Aufnahme indigener Themen in die Lehrpläne der Schulen vorschreibt.
Indios aus der Sicht der Indios
Trotz der gesteigerten Wertschätzung blieb jedoch ein Problem bestehen: Alles was wir über die indigenen Völker wissen, beruht auf einer Sicht von außen. Doch seit ein paar Jahren ist hier eine Bewegung zu beobachten, die Elaide Fernandes Ferreira in ihrem Buch zusammenfasst: „Von Pfeil und Bogen zum digitalen Bogen“. Die Indigenen erlangen ein neues Selbstbewusstsein, und in dem Maße, wie Schul- und Universitätsbildung steigt und auch der Zugang zu digitalen Medien zunimmt, entdecken indigene Völker und Gemeinschaften immer mehr die Möglichkeiten, sich selbst der Welt zu präsentieren: So ist z.B. die Plattform Indio Educa entstanden, die es in Projekten wie „Indio na Visao dos Indios“ ermöglicht, Präsentationen über das eigene Volk einzustellen. Darüber hinaus erscheinen Essays zu wichtigen indigenen Themen und Unterrichtsmaterial für Schulen.
Ist der Begriff ‚Indio‘ nicht überholt und pejorativ? Indigene trifft es doch besser nicht?!
Auf der einen Seite hast du zu hundert Prozent recht. Aber z. B. Daniel Munduruku und Renata Tupinamba, die hinter Indio Educa und Radio Yande steckt, benutzen den Begriff »Indio« sehr bewusst. Daniel hat das sogar einmal ziemlich einleuchtend erklärt: Auf der einen Seite geht es – gerade im Internet – immer auch um Reichweite. Vor allem geht es aber auch darum, Menschen zu erreichen, die sich mit dem von dir abgesprochenen Problem noch nicht beschäftigen.