Die Ruinen von Paricatuba
Die Ruinen von Paricatuba liegen am Ufer des Rio Negro, 27 Kilometer von Manaus entfernt. Sie sind sowohl über den Fluss als auch über die Ponte Rio Negro und die AM-070 erreichbar. Die BR-070, die Verbindungsstraße zwischen Manaus und Manacapuru, wurde in den letzten Jahren vierspurig ausgebaut. Die Bedeutung der Ruinen von Paricatuba findet zunehmend Anerkennung. Eine ausgeschilderte, asphaltierte Straße führt mittlerweile in den Ort Paricatuba.

Die Geschichte
- Geplante Herberge für italienische Einwanderer (1898):
Die Bauarbeiten in Paricatuba begannen 1898 mit dem Ziel, eine große Herberge für italienische Einwanderer zu errichten. Das Projekt wurde aus nicht dokumentierten Gründen eingestellt, wodurch das Gebäude zunächst ungenutzt blieb. - Instituto Afonso Pena (Liceu de Artes e Ofícios) (1906-1924)
1906 erfolgte die Wiedereröffnung als Instituto Afonso Pena, benannt nach dem damaligen brasilianischen Präsidenten, der bei der Einweihung anwesend war. Unter der Leitung französischer Patres bot das Institut eine Ausbildung in Tischlerei, Bauwesen und Kunst an. - Gefängnis (unbekannter Zeitraum)
Nach der Schließung des Instituto Afonso Pena diente das Gebäude temporär als Gefängnis. Die genaue Nutzungsdauer und die Haftbedingungen sind nicht dokumentiert. - Hospital Belisário Pena (Leprosorium) (1924-1962):
1924 beschloss die Regierung des Bundesstaates Amazonas die Umwandlung in ein Leprosorium. Das Hospital Belisário Pena erhielt seinen Namen von einem bedeutenden brasilianischen Arzt und Politiker des 19. Jahrhunderts, der sich für die Leprabehandlung einsetzte. Die Einrichtung nahm 1925 den Betrieb auf. 1930 erfolgte die Zwangsverlegung aller bei der Profilaxia Rural do Amazonas (PRA) registrierten Leprakranken nach Paricatuba. Das Hospital bot während seiner fast 40-jährigen Betriebszeit neben medizinischer Versorgung auch Unterkunft und Beschäftigungsmöglichkeiten. - Verlegung der Patienten in die Colônia Antônio Aleixo (1962):
Die Überbelegung und die erschwerte logistische Versorgung führten 1962 zur schrittweisen Verlegung der Patienten in die neu errichtete Colônia Antônio Aleixo in Manaus. Dieser mehrjährige Prozess markierte das Ende der Nutzung als Leprosorium. - Entwicklung zum Touristenziel (1992-heute): Die 1992 eröffnete Zufahrtsstraße machte die Ruinen öffentlich zugänglich. Seither entwickelte sich Paricatuba zu einem beliebten Ausflugsziel für historisch interessierte Besucher.

Die Ruinen von Paricatuba
Die archäologische Bedeutung der Ruinen liegt in ihrer Dokumentation von:
- der Leprageschichte im Amazonasgebiet als eines der ersten großen Leprosorien der Region,
- den damaligen Lebensbedingungen durch die räumliche Organisation des Komplexes,
- der sozioökonomischen Entwicklung während und nach dem Kautschukboom,


Lepra am Amazonas
Die Geschichte der Lepra im Amazonasgebiet ist eng mit Paricatuba verbunden. Das ehemalige Leprosorium dokumentiert die regionale Entwicklung der Krankheit und ihrer Behandlung.
Frühe Anfänge:
Die erste dokumentierte Lepraerkrankung im Amazonasgebiet stammt aus dem Jahr 1784. Der Soldat Albino Joseph wurde aufgrund seiner Erkrankung in einem separaten Gebäude des Real Hospital Militar der Capitania de São José do Rio Negro in Manaus untergebracht. Diese frühe Isolation von Erkrankten zeigt bereits die damalige Strategie zur Eindämmung der Krankheit.
Ausbreitung im 19. und 20. Jahrhundert:
Der Kautschukboom führte durch verstärkte Migration und Urbanisierung zu einer erhöhten Ausbreitung der Lepra. Die hygienischen Bedingungen in den schnell wachsenden Städten begünstigten die Übertragung.
Isolationsstrategie:
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt die Isolation als primäre Bekämpfungsstrategie. Das 1923 eröffnete Leprosorium Belizário Pena in Paricatuba und die 1942 gegründete Colônia Antônio Aleixo in Manaus dienten der Isolation und medizinischen Versorgung der Erkrankten.
Alfredo da Mattas Einfluss:
Der Dermatologe und Tropenmediziner Alfredo da Matta prägte ab 1890 die Leprabekämpfung in Manaus. Er gründete die Sociedade de Assistência aos Lázaros e Defesa Contra a Lepra zur Unterstützung der Erkrankten. Das 1955 eröffnete Dispensário Alfredo da Matta markierte den Beginn der ambulanten Behandlung.
Moderne Therapien:
Die Einführung von Sulfonamiden in den 1940er Jahren und später von Antibiotika wie Dapsone revolutionierte die Behandlung. Die WHO empfahl ab den 1960er Jahren die ambulante Behandlung in den Heimatgemeinden der Erkrankten.
Integration statt Isolation:
Die Schließung der Leprosorien wie Paricatuba in den 1960er Jahren markierte den Übergang von der Isolation zur gesellschaftlichen Integration. Aufklärung und moderne Behandlungsmöglichkeiten trugen zur Entstigmatisierung bei.


Historisches Erbe
Die Ruinen von Paricatuba verkörpern ein bedeutendes historisches und kulturelles Erbe des Amazonasgebiets. Die verschiedenen Nutzungsphasen – von der Einwandererherberge über das Instituto Afonso Pena bis zum Leprosorium und der Mission – dokumentieren die regionale Entwicklung über mehrere Jahrhunderte.
Als stumme Zeugen der Leprageschichte im Amazonasgebiet erinnern die Ruinen an das Schicksal der Erkrankten und das Engagement von Medizinern wie Alfredo da Matta. Sie spiegeln zudem die sozioökonomischen Veränderungen während des Kautschukbooms wider, von der Einwanderung bis zum Aufbau neuer Infrastrukturen.


Ausblick für die Ruinen von Paricatuba
Die Erhaltung der Ruinen und ihrer Geschichte erfordert verschiedene Maßnahmen:
Bauliche Erhaltung:
Stabilisierungsmaßnahmen und Schutz vor Erosion und Vandalismus könnten sicher zum Erhalt der Bausubstanz beitragen. Doch der Verfall beruht weitgehend auf dem Überwuchern durch die tropische Vegetation und das Eindringen von Wurzelwerk in die Bausubstanz. Ein Entfernen der Vegetation würde jedoch den Charakter der Ruinen erheblich beeinträchtigen.
Öffentliche Vermittlung:
Die Geschichte kann durch Informationstafeln und Führungen zugänglich gemacht werden, die zurzeit eingerichtet werden. Dazu wäre ein Museum eine weitere Ergänzung, die Geschichte des Gebäudekomplexes sichtbar zu machen
Wissenschaftliche Arbeit:
Die systematische Dokumentation und Erforschung durch Archäologen und Historiker ermöglicht die Rekonstruktion der Geschichte Paricatubas. Diese ist sicher erst am Anfang und besteht sicher noch jede Menge Handlungsbedarf
Fazit
Die Ruinen von Paricatuba dokumentieren die menschliche Geschichte mit ihren Fortschritten und Rückschlägen. Sie mahnen, aus der Vergangenheit zu lernen und die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten.
Sie zeigen aber die Vergänglichkeit allen unseren Lebens und Strebens, mit allen Bemühungen, Erfolgen und Scheitern. Und auch die Ruinen von Paricatuba sind dieser Vergänglichkeit ausgesetzt, egal ob wir die Vegetation entfernen oder sie als Teil seiner Erosion akzeptieren
Die Gebäude befinden sich heute in fortgeschrittenem Verfall, gekennzeichnet durch Verwitterung, Überwucherung und teilweise Einstürze. Dennoch vermitteln sie einen eindrucksvollen Eindruck ihrer ursprünglichen Architektur.
Das markanteste Element ist das zweistöckige Hauptgebäude, das nacheinander als Herberge, Institut und Hospital diente. Erhalten sind Teile der Außenmauern, Fensteröffnungen, Treppen und Säulen. Die Überreste der Kirche, der Werkstätten und der Wohngebäude sind ebenfalls erkennbar.
Quellen:
- Amazonas Atual: Vila de Paricatuba expõe ruínas de hospedaria a abrigo para hansenianos
- Academia Amazonense de Letras: Hanseníase no Amazonas: uma história a ser contada
- A Critica. Do isolamento ao preconceito contra Hanseniase: relembre a criação e o fim dos leprosários em Manaus
Bildquellen
- Paricatuba – Eingang in die Ruinen: Autor
- Paricatuba 1: Autor
- Paricatuba 4: Autor
- Paricatuba 3: Autor
- 20250112_170952: Autor
- Paricatuba 7: Autor
- Marilia Eingang: Autor
- Erklärungstafel: Autor
Kommentare
Die Ruinen von Paricatuba — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>