Die Açutuba-Phase: Ein Fenster in die frühe Geschichte Amazoniens
Das Amazonasgebiet, bekannt für seine üppigen Regenwälder und reiche Biodiversität, birgt auch faszinierende Geheimnisse der menschlichen Vergangenheit. Eine besonders interessante Epoche ist die Açutuba-Phase, die einen wichtigen Abschnitt in der präkolumbianischen Geschichte Zentralamazoniens darstellt. In diesem Artikel tauchen wir ein in die Welt der Açutuba-Kultur, ihre Keramik, Siedlungen und Bedeutung für unser Verständnis der frühen Amazonasbewohner.
Zeitliche Einordnung und geografische Verbreitung
Die Açutuba-Phase, benannt nach dem gleichnamigen Fundort am unteren Rio Negro, erstreckte sich über einen beachtlichen Zeitraum von etwa 1000 v. Chr. bis 300 n. Chr. Diese chronologische Einordnung basiert auf sorgfältigen Radiokarbondatierungen und stellt eine Verfeinerung früherer Chronologien dar, die die Açutuba-Phase als Teil der späteren Manacapuru-Phase (ca. 600-1000 n. Chr.) betrachteten. Die genauere Datierung offenbarte eine zeitliche Lücke zwischen den beiden Kontexten, was zu einer Neubewertung der kulturellen Sequenz in der Region führte.
Geografisch konzentrieren sich die Funde der Açutuba-Phase hauptsächlich auf das zentrale Amazonasgebiet Brasiliens. Der Schwerpunkt liegt im Gebiet um den Zusammenfluss des Rio Negro und des Rio Solimões, dem oberen Amazonas. Neben dem namensgebenden Fundort Açutuba wurden bedeutende Entdeckungen auch an der archäologischen Stätte Hatahara nahe der Stadt Iranduba und an verschiedenen Standorten um Manaus gemacht. Die Verbreitung der charakteristischen Açutuba-Keramik erstreckt sich über mehrere hundert Kilometer entlang der Hauptflüsse, mit Funden auch am mittleren und unteren Amazonas sowie im unteren Madeira-Flussgebiet.
Bemerkenswert ist die Lage vieler Fundorte auf erhöhten Terrassen entlang der Flüsse, die natürlichen Schutz vor Überschwemmungen boten. Diese strategische Positionierung deutet auf ein tiefes Verständnis der lokalen Umweltbedingungen hin und zeigt, wie die frühen Bewohner des Amazonasgebiets ihre Umgebung zu ihrem Vorteil nutzten.
Die charakteristische Keramik der Açutuba-Phase
Das herausragendste Merkmal der Açutuba-Kultur ist zweifellos ihre außergewöhnliche Keramik. Diese zeichnet sich durch komplexe Muster, feine Ritzverzierungen und eine beeindruckende polychrome Bemalung aus. Die Herstellung erfolgte vermutlich mit der Wulsttechnik, bei der Tonrollen übereinander geschichtet und dann sorgfältig geglättet wurden. Die Töpfer nutzten lokale Tonquellen und entwickelten eine bemerkenswerte Expertise in der Verarbeitung und Dekoration ihrer Werke.
Die Dekoration der Açutuba-Keramik ist besonders interessant. Charakteristisch sind komplexe geometrische Muster, die oft durch Ritzverzierungen hervorgehoben wurden. Die Verwendung von roten, orangefarbenen und weißen Pigmenten für die polychrome Bemalung zeugt von einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik und möglicherweise auch von symbolischer Bedeutung. Einige Stücke weisen zudem Reliefverzierungen auf, was die Vielfalt der angewandten Techniken unterstreicht.
Die Formen der Gefäße variierten von einfachen Schüsseln und Töpfen bis hin zu möglicherweise rituellen Objekten. Während einige Gefäße wahrscheinlich alltäglichen Zwecken wie der Aufbewahrung von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten dienten, deuten andere auf eine Verwendung bei Zeremonien oder Festen hin. Diese Vielfalt in Form und Funktion gibt uns Einblicke in die verschiedenen Aspekte des Lebens in der Açutuba-Gesellschaft.
Die Açutuba-Keramik gilt als eine der frühesten und technisch fortschrittlichsten in der Region. Die Qualität und Komplexität der Dekoration zeugen von einem hohen Maß an handwerklichem Geschick und künstlerischer Ausdruckskraft. Für Archäologen spielt diese Keramik eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung und Datierung von Açutuba-Siedlungen und liefert wertvolle Einblicke in die künstlerischen und technologischen Fähigkeiten dieser frühen Amazonaskultur.
Gesellschaftliche Strukturen und Lebensweise
Obwohl die archäologischen Quellen nur begrenzte Informationen über die detaillierten Strukturen der Açutuba-Gesellschaft liefern, können wir einige interessante Rückschlüsse ziehen. Es wird angenommen, dass die Menschen dieser Kultur in relativ komplexen Gesellschaften lebten, die Landwirtschaft betrieben und permanente Siedlungen hatten. Die Fundstellen der Açutuba-Phase zeichnen sich oft durch tiefe, aber relativ begrenzte Kulturschichten aus, insbesondere im Vergleich zu späteren Besiedlungsphasen.
Die Funde konzentrieren sich meist auf tiefe Substrate und nicht-anthropogene Bodenmatrizen, was darauf hindeutet, dass es sich um relativ kleine und möglicherweise saisonale Siedlungen handelte, wie sie noch heute bei indigenen Gemeinschaften in der Region verbreitet sind. Trotz ihrer geringen Größe weisen diese Fundstätten eine bemerkenswerte Anzahl dekorierter Keramikfragmente auf, was auf eine komplexe materielle Kultur und möglicherweise auf Handelsbeziehungen schließen lässt.
Saisonale Siedlungen sind noch heute verbreitet bei den indigene Gemeinschaften der Region. Während in der Zeit des Agua Cheia sich die Gemeinschaft in die Ansiedlung in der Terra Firme zurückzieht, in der auch mehrjährige Pflanzen angebaut werden können, bauen die Gemeinschaften in der Trockenperiode temporale Siedlungen. Dort pflanzen sie einjährige Nahrungsmittel. Die in der Regenzeit riesigen Überschwemmungsgebiete schrumpfen dann auch zu Bachläufen, in denen sich die Fische sammeln und leicht gefangen werden können.
Die Untersuchung von Herstellungstechniken und der Auswahl von Rohstoffen für die Keramik liefert weitere Hinweise auf mögliche Handelsbeziehungen. Variationen in der Zusammensetzung der Keramikpaste und der Art der Dekoration könnten auf den Austausch von Rohstoffen und Fertigprodukten zwischen verschiedenen Gruppen hindeuten. Dies lässt vermuten, dass die Açutuba-Gesellschaften, obwohl möglicherweise klein und saisonal, Teil eines größeren Netzwerks von Interaktionen und kulturellem Austausch waren.
Es ist wichtig zu beachten, dass viele Aspekte der Açutuba-Gesellschaft, wie detaillierte Siedlungsmuster oder Haushaltsstrukturen, noch nicht vollständig erforscht sind. Zukünftige archäologische Untersuchungen könnten unser Verständnis dieser frühen Amazonaskultur weiter vertiefen.
Bedeutung der Açutuba-Phase im größeren Kontext
Die Açutuba-Phase markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Besiedlungsgeschichte Amazoniens. Sie steht am Übergang zwischen dem frühen und mittleren Formativum, einer Zeit, die von wichtigen Veränderungen in der Lebensweise der Amazonasbewohner geprägt war. Diese Epoche sah die zunehmende Sesshaftigkeit der Bevölkerung und die Entwicklung landwirtschaftlicher Praktiken, die die Grundlage für spätere, komplexere Gesellschaften bildeten.
Die weite Verbreitung von Açutuba-Artefakten in der gesamten zentralen Amazonasregion zeugt von der Bedeutung und dem Einfluss dieser Kultur. Obwohl die Siedlungen relativ klein und möglicherweise saisonal waren, deutet die Komplexität ihrer materiellen Kultur, insbesondere der Keramik, auf ein hohes Maß an kultureller Entwicklung und möglicherweise auf weitreichende Handelsbeziehungen hin.
Die Açutuba-Phase liefert wichtige Erkenntnisse über die frühe menschliche Anpassung an die einzigartige Umwelt des Amazonasgebiets. Die strategische Platzierung von Siedlungen auf erhöhten Terrassen zeigt ein tiefes Verständnis für die lokale Ökologie und die Fähigkeit, die Landschaft zu nutzen und zu gestalten. Diese frühen Anpassungen legten möglicherweise den Grundstein für die späteren, komplexeren Gesellschaften, die sich in der Region entwickelten.
Schlussfolgerung und Ausblick
Die Açutuba-Phase bietet ein faszinierendes Fenster in die frühe Geschichte Amazoniens. Ihre charakteristische Keramik, die Siedlungsmuster und die Hinweise auf soziale Komplexität und Handel geben uns wichtige Einblicke in das Leben der frühen Bewohner dieser Region. Während viele Fragen noch unbeantwortet bleiben, zeigt die Açutuba-Kultur deutlich, dass das Amazonasgebiet schon lange vor der europäischen Entdeckung eine reiche und komplexe menschliche Geschichte hatte.
Zukünftige Forschungen werden zweifellos weitere Erkenntnisse über diese faszinierende Kultur liefern. Mit fortschrittlichen archäologischen Methoden und interdisziplinären Ansätzen können wir hoffen, ein noch detaillierteres Bild der Açutuba-Phase und ihrer Bedeutung für die Entwicklung der amazonischen Zivilisationen zu gewinnen. Die Açutuba-Kultur erinnert uns daran, dass die Geschichte des Amazonasgebiets weit über seine natürlichen Wunder hinausgeht und eine reiche Erzählung menschlicher Innovation, Anpassung und kultureller Entwicklung bietet.
Quellen
- Marcio Walter de Moura Castro: A Cronologia dos Sítios Lago do Iranduba e Laguinho a Luz das Hipóteses da Ocupação Humana Para A Amazonia Central, Sao Paulo, 2009 (Dissertation)
- Helena Pinto Lima. História das caretas: a tradição borda incisa na amazônia central, Museu Paraense Emilio Goeldi, 2008
- Anne Rapp Py Daniel: Arqueologia da Morte no sítio Hatahara durante a fase paredão, Sao Pulo, 2009
- Alana Augusta Vasques De Oliveira: Análise Espacial dos Sítios Arqueológicos em Iranduba-AM, 2018
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