Der Kampf um die Aldeia Maracanã
Die Aldeia Maracanã und das Museo do Indio sind ein Symbol für die Anerkennung der Kultur der indigenen Völker Brasiliens und ganz Südamerikas. Denn es war das erste seiner Art und erinnert daran, dass große Männer wie Darcy Ribeiro und Orlando Villas-Boas den Wert der Kulturen der indigenen Völker als kulturelles Erbe Brasiliens anerkannt haben. Doch es steht den Interessen eines Mannes im Weg. Das Problem: Eike Batista ist der reichste Mann Brasiliens.
Seit Jahren tobt mitten in Rio de Janeiro der Kampf um das Antigo Museo do Indio. Es liegt nur wenige Meter entfernt vom berühmten Estadio Maracanã. Das Gelände des mit einst 200.000 Plätzen größten Fußballstadions der Welt wurde privatisiert. Und mit ihm eine Schule und das Anwesen des alten Museo. Es ist unklar, wie es weiter geht, denn beide Seiten haben gewichtige Argumente. Dem Eigentumsrecht der Investoren steht der Denkmalschutz gegenüber. Und Rechte, die die brasilianische Verfassung den indigenen Völkern einräumt.
Die Geschichte
Im Jahr 1910 wurde der Serviço da Proteção ao Indio (SPI) gegründet, die Behörde zum Schutz der Indios. Aus ihr entstand 1967 die heutige Fundacão Nacional do Indio (FUNAI). Ursprünglich war es Ziel der SPI, die Indigenen so schnell wie möglich an die von den Weißen dominierte brasilianische Gesellschaft anzupassen.
Doch Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzte ein Umdenken ein. 1951 wurde ein Runder Tisch gegründet, der unter anderem auch zur Gründung des Nationalparks Alto Xingu im Jahr 1961 führte. Aber schon am 19.04.1953 gab es einen Meilenstein bei der Anerkennung des kulturellen Wertes der Indigenen Völker: Das Museu do Indio wurde von Darcy Ribeiro gegründet, als kulturwissenschaftliches Institut des SPI. Die Nachfolgeorganisation FUNAI ist unter anderem für den Schutz und die Rechte der Indios an ihren traditionellen Gebieten zuständig.
Das Gebäude, das seit 1867 im Staatsbesitz war, beherbergte das Museo do Indio bis ins Jahr 1977. Dann wurde das Museo do Indio in den Stadtteil Botafogo verlegt. Doch die Indigenen, die nicht gefragt wurden, waren mit dem Umzug nicht einverstanden. Zu fremd war ihnen die Umgebung im noblen Botafogo. Das denkmalgeschützte Gebäude in Maracanã jedoch wurde dem Verfall preisgegeben. Ein Gebäude, das für die indigen Völker einen derartigen Stellenwert besitzt, dass der 19. April, der Tag der Gründung des Museu do Indio, heute als “Tag des indigenen Selbstbewusstseins” begangen wird.
Die Aldeia Maracana: Das Centro Cultural Indigena
Im Jahr 2006 besetzte eine Gruppe von Indigenen das aufgegebene Gelände des alten Museo do Indio. Sie gründeten ein Kulturzentrum und wohnen auf dem Gelände, nicht zuletzt, um das immer von der Räumung und dem Abriss bedrohte Gebäude zu schützen. Ein weiteres Ziel ist es, die Anziehungskraft des Estadio Maracanã zu nutzen, um Touristen die Kultur der indigenen Völker näher zu bringen.
Einmal im Monat veranstalten sie einen Tag der Offenen Tür, der auch von Touristen frequentiert wird. Ansprachen des Cazique von Rio de Janeiro und Caziques aus anderen Regionen Brasiliens sowie die Präsentation von Übereinkommen bilden den politischen Teil der Veranstaltung.
Das Kulturprogramm umfasst die Präsentation von traditionellen Gesängen, Tänzen, und Beschwörungen. Es finden literarische Lesungen statt und Vorstellungen von Werken indigener Autoren. Es werden Kunstwerke ausgestellt und die Bedeutung der Symbole indigenen Kunsthandwerks erklärt.
Der Konflikt
Der Konflikt um die Aldeia Maracanã schwelte seit ihrer Gründung. Versuche, den Status zu legalisieren, wurden von interessierter Seite in der Stadtverwaltung unter Eduardo Paes immer wieder blockiert. Ein Verkauf des Geländes war geplant und wurde schließlich durchgeführt. Doch der Verkauf alleine rechtfertigt keine Räumung und keinen Abriss, denn dem stehen die Gesetze zum Denkmalschutz und zu Rechten der indigenen Bevölkerung entgegen.
Im Herbst des vergangen Jahres keimte Hoffnung auf. Nachdem die FIFA lange im Verdacht stand, hinter den Räumungsabsichten zu stehen, erklärte sie öffentlich, dass sie weder Eingriffe in Kulturdenkmäler noch in soziale Angelegenheiten befürwortet. Doch der Erfolg war vorübergehend. Ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zum Schutz des alten Museo do Indio wurde blockiert.
Im Januar 2013 eskalierte die Situation. Ohne richterlichen Beschluss und ohne gesetzliche Grundlage rückte eine schwer bewaffnete Eliteeinheit der Polizei auf die Aldeia Maracana vor. Auf der anderen Seite eilten Mengen von Unterstützern zur Aldeia Maracanã. Neben Indigenen auch Studenten, Künstler und Politiker. Über Stunden wurde das Kulturzentrum belagert und nur das beherzte Eingreifen von Politikern und Caziques konnte einen illegalen Sturmangriff der Polizei verhindern. Wie absurd die Aktion war, beleuchtete die Erklärung eines Polizeisprechers, nicht zu wissen, wer den Marschbefehl gegeben habe.
Ein weiter Erfolg, aber wieder nur vorläufig
Die Angelegenheit erreicht die internationalen Medien: Es berichteten unter anderen die BBC und die Zeit in einem Artikel vom 16.01.2013. Der Fall kehrte zurück auf die Verwaltungs- und Gerichtsebene. Es folgte eine Räumungsanordnung, der jedoch widersprochen wurde. Die FUNAI und die brasilianische Denkmalschutzbehörde setzten sich für einen Erhalt des Museo do Indio ein. Schließlich erbat sogar die UNESCO eine Erklärung der brasilianischen Regierung. Der Einsatz zeigte Wirkung und der Räumungsbeschluss wurde aufgehoben. Es erging sogar ein Gerichtsbeschluss, der den Erhalt des Museo do Indio und den Verbleib der Indios in der Aldeia Maracanã sichern sollte. Doch in den vergangenen Wochen häuften sich Stromausfälle, und in der Aldeia Maracanã wuchs die Angst vor einer gewaltsamen Räumung.
Die letzten Tage der Aldeia Maracana
Mitte März 2013 spitzte sich die Situation erneut zu. Am Donnerstag, den 14.03.2013 stimmte die Stadtverordnetenversammlung mit 17 gegen 13 Stimmen gegen einen Erhalt des Museo do Indio. Gleich am darauf folgenden Freitag wurde den Indios eine Frist von 72 Stunden eingeräumt, das Gelände zu räumen. Am Samstag fand eine Demonstration der Solidarität mit der Aldeia Maracanã statt. Etwa 500 Menschen zogen mit rot bemaltem Gesicht zur Aldeia Maracanã und protestierten gegen deren Räumung und die Privatisierung des Komplexes Maracana.
Am Montag erklärte ein Anwalt und Abgeordneter, der sich schon mehrmals für die Aldeia Maracanã eingesetzt hat, dass sich die Frist von 72 Stunden nur auf Werktage beziehe. Sie würde am Mittwoch, 20.03.2013, um 6:00 Uhr Ortszeit ablaufen. Laut der Onlinezeitung “O Dia” befürchtet der Menschenrechtsbeauftragte Daniel Machedo, dass es zu einem Blutbad kommt.
Der Aufruf zur Unterstützung der Aldeia Maracanã und dem friedlichen Widerstand wird am Mittwoch von einem Kulturfest auf dem Gelände begleitet. Nationale und internationale Presse sind vor Ort. Am Donnerstag wurde nachmittags eine Delegation der Aldeia von der Regierung empfangen. Doch die Regierung Cabral lehnte alle Kompromissvorschläge ab. Der Beschluss stand schon vorher fest. Nach dem ergebnislosen Treffen vom Donnerstag steht die gewaltsame Räumung ab 6:00 Uhr morgens Ortszeit unmittelbar bevor!
Doch diesmal wartet die Polizei nicht einmal bis zum Ablauf der vereinbarten Frist. Schon gegen 03:00 Uhr nachts erfolgte ein erster Angriff mit Gasgranaten auf das Gelände. Bis zum Mittag steigt die Zahl der Einsatzkräfte von zunächst 90 auf über dreihundert. Die Polizei verhindert jegliche Annäherung und geht auch gewaltsam gegen Journalisten vor. Dabei schießt sie aus nächster Nähe mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen. Ein Beschluss des Gerichts von Barra de Tijuca setzt die Invasion aus. Doch die inzwischen 200 Mann starke paramilitärische Kampfeinheit der Polizei weist die Annahme zurück. Die Spezialeinheiten dringen auf das Gelände vor und setzten dabei Gummigeschosse und Tränengas ein und räumen das Gelände.
Bildquellen
- 640px-Aldeia_Maracanã_01: Halley Pacheco de Oliveira/Wikipedia
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