Pindorama Extra – Jahresrückblick 2015
Lava Jato
Mit Lava Jato wird im Allgemeinen der Schmiergeldskandal um die Regierungspartei PT von Staatspräsidentin Dilma Rousseff und den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras bezeichnet. Schon kurz nach der Wahlniederlage bei der Präsidentenwahl im Herbst 2014 begannen die Opposition, vor allem unter Führung der Partei PSDB des unterlegenen Kandidaten und ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates Minas Gerais, Aécio Neves, Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren zu suchen.
Im Laufe der Ermittlungen stellte sich jedoch heraus, dass außer ranghohen Vertretern der PT, auch Vertreter der anderen Parteien erheblich in den Skandal verstrickt waren. Darunter auch Aécio Neves. Besonders schwer belastet wurde der Präsident der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha von Dilma Rousseffs Koalitionspartner PMDB. Es wurden in der Schweiz Schwarzgeldkonten in Millionenhöhe gefunden, die ihm zugerechnet werden. Und ausgerechnet er ist es, der das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff letztendlich eingeleitet hat.
Auch ein irritierendes Detail ist ein Treffen der Organisatoren der Protestbewegung „Vem pra Rua“, die sich selbst den Kampf gegen die Korruption auf die Fahne geschrieben hat, und die die großen Protestmärsche gegen Dilma Rousseff organisiert hat, mit führenden Vertretern der PSDB. Besonders pikant, dass „Vem pra Rua“ zum Beispiel die Herkunft von 10.000 Real für eine Demonstration in Rio de Janeiro nicht offenlegen möchte.
Movimento Intervencao und der Tod von Ustra
Im Zusammenhang der Proteste machte auch eine weitere Organisation von sich reden. Das „Movimento Intervencao“ tritt offen für einen Militärputsch ein. Während die einen für eine Diktatur nach Vorbild von Pinochet in Chile plädieren, argumentieren andere, dass es Brasilien nie eine Militärdiktatur gegeben hätte. Allen gemeinsam ist jedoch die Argumentation, dass die Regierung Rousseff Brasilien in eine „Kommunistische Diktatur“ führen würde. Während in Ländern wie Chile und Argentinien die Militärdiktaturen als Trauma weitgehend im Bewusstsein der Bevölkerung präsent sind, spielt sie im Bewusstsein der brasilianischen Bevölkerung kaum eine Rolle. Autoren wie Bernardo Kuczinski erreichten nie einen Stellenwert wie Isabel Allende in Chile oder Elsa Osorio in Argentinien. Das ging so weit, dass 2013 Bernardo Kuczinski nicht Mitglied der offiziellen Delegation beim Gastlandauftritt Brasiliens auf der Buchmesse in Frankfurt war, sondern von seinem deutschen Verlag eingeladen wurde.
Eine besondere Aktualität erreichte die Thematik der Diktatur im Herbst 2015. Am 15. Oktober starb Carlos Alberto Brilhante Ustra, der nicht nur einer der obersten Verantwortlichen während der Militärdiktatur, sondern auch selbst an Folterungen beteiligt gewesen sein soll. Sowohl der Fernsehsender O Globo als auch die Zeitung Folha do Sao Paulo berichteten über Überlegungen, Ustra ein militärisches Ehrenbegräbnis zukommen zu lassen. Führende – auch noch aktive Militärs hätten sich dafür ausgesprochen „Angesichts seiner herausragenden Leistungen für das Vaterland“ beim „Kampf gegen kommunistische Terroristen“. Die Zeitung lässt diese Aussagen unkommentiert stehen, und zitiert stattdessen Familienmitglieder die anmerken, dass Ustra „nie verurteilt wurde“. Das allerdings, weil die Aufarbeitung seiner Akte bei der Wahrheitskommission noch nicht abgeschlossen wurde.
PEC 215 und CPI gegen die Indiobehörde FUNAI
2015 war auch ein Jahr schwerer Rückschläge für die Rechte der indigenen Völker in Brasilien. Auch wenn viele der Errungenschaften nur auf dem Papier stehen und Überfälle auf indigene Ansiedlungen und Morde an indigenen Anführern an der Tagesordnung sind, hat Brasilien doch – im Gegensatz zu Deutschland – die Charta 169 der Weltarbeitsorganisation zu den Rechten indigener Völker unterschrieben. Auch die Verfassung von 1988 verankert zum Beispiel das Recht indigener Völker auf ihr Territorium. Die Anerkennung indigener Gebiete ist ein langwieriger Prozess und obliegt der staatlichen Indiobehörde FUNAI.
Dies soll jetzt durch eine Verfassungsänderung geändert werden, die von der „Bancada Ruralista“, also Großgrundbesitzern und Parlamentariern, die ihnen nahestehen, vorangetrieben wird. Da die Abgeordneten der Bacanda Ruralista in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit stellen, wurde die Verfassungsänderung in den Parlamentsausschüssen abgesegnet. Die Anerkennung, die bis jetzt gesetzlich garantiert ist, soll aus der Zuständigkeit der Exekutive entfernt werden, und der Legislative zugeordnet werden: Genau diesem Parlamentsausschuss, in dem die Vertreter der Bacanda Ruralista die Mehrheit haben.
Begleitet und unterstützt wird das Vorgehen durch die Einsetzung eines CPI, eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen die FUNAI, in dem der Behörde finanzielle Untreue und Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen wird. Vertreter von NGOs, wie zum Beispiel dem Indigenen Missionsrat der Katholischen Kirche CIMI, und an Anerkennung von indigenen Territorien beteiligte Anthropologen werden als Zeugen vorgeladen und unter Druck gesetzt. Wie perfide dieses Vorgehen ist, wird klar, wenn man berücksichtigt, dass in diesem Ausschuss die Bancada Ruralista nicht nur die Federführung hat, sondern auch Wahlkampfspenden erhalten hat, von Spendern, die mit Sklavenarbeit zu tun haben sollen.
Bildquellen
- Platz der Drei Gewalten: © https://klausreuss.manaus.br
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