Karneval in Rio 2017
Es geht um den Straßenkarneval, um ein paar deftige Skandale, um die Sambagruppe Imperatriz, die zum Schutz der indigenen Völker aufruft, und noch Hintergründe zur Parade der Sambaschulen: Heute ist Aschermittwoch, aber in Brasilien ist der Karneval noch lange nicht vorbei. Trotzdem ist es schon möglich, Einblicke in den Karneval von Rio und einen ersten Rückblick auf die Ereignisse der letzten Tage zu geben. Der große Wettbewerb der Sambaschulen war Sonntag und Montag, und am Mittwoch wurden die Gewinner und die Platzierungen bekannt gegeben. Herzlichen Glückwunsch an die Sambaschule GRES Portela, die mit ihrem Samba über den Rio Doce und die Katastrophe von Mariana gewonnen hat.
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Zunächst einmal ein paar Einblicke in den Karneval von Rio: Am bekanntesten ist die Parade der großen Sambaschulen, die am Sonntag und Montag den Wettbewerb im Sambadrom austragen. Das ist in den letzten Jahren eine durch und durch kommerzielle Veranstaltung geworden, und die Schulen sind von Sponsoren abhängig, die den immensen finanziellen Aufwand finanzieren. Den genauen Ablauf eines Zugs im Sambadrom zeige ich euch später am Beispiel der Schule Gremio Recreaciao Escola de Samba Imperatriz Leopolidinense, die nicht nur eine spektakuläre, sondern auch ungewohnt politische Show zeigte.
Viel politischer als die Paraden der Sambaschulen sind oft die Blocos auf dem Straßenkarneval. Dabei singen die Einheizer auf fahrbaren Bühnen und werden von Trommlergruppen begleitet. Ein sehr deutliches Beispiel für die politische Ausrichtung des Straßenkarnevals war der Bloco Fora Temer, bei dem Künstler und Aktivisten die Absetzung des Staatspräsidenten Temer und die Rückkehr der abgesetzten Präsidenten Dilma Rousseff forderten. Doch war der Ruf nach einer Absetzung Temers weit über diese Gruppe hinaus zu hören. Und in Salvador de Bahia sogar auf der offiziellen Parade: „Fascistas, Golpistas – nao passarao!“ auf deutsch: „Faschisten, Umstürzler – damit kommt ihr nicht durch!“ und das schon bekannte „Fora Temer!“ also „Temer muss weg!“ Dafür droht jetzt der angesehenen Sambaschule Baiana System eine Strafe, die bis zum Ausschluss aus der Parade 2018 gehen kann.
Bürgermeister Crivella und der Stadtschlüssel – Souverän geht anders!
Der Karneval in Rio ist, wie auch in vielen deutschen Städten, eine ernste Angelegenheit. Und so gibt es auch eine offizielle Eröffnung, bei der traditionell der Bürgermeister den Stadtschlüssel an die Karnevalisten überreicht. Jedoch war schon im Vorfeld spekuliert worden, ob auch dieses Jahr der Bürgermeister den Schlüssel übergebe, denn Rio hat seit Anfang des Jahres einen neuen Bürgermeister. Marcelo Crivella ist aber nicht nur Bürgermeister, er ist auch Bischof der fundamentalistische Igreja Universal. Karneval wird aber immer wieder mit Alkohol und sexuellen Ausschweifungen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus lebt der Karneval in Brasilien von einer Mischung aus katholischer und afrobrasilianischer Tradition. All dies hatte er in einem Buch schon als „Teufelswerk“ bezeichnet. Und so war klar, dass Crivella eine nicht gerade positive Einstellung zum Karneval hat.
Jedoch hat er sich im Wahlkampf für die Formulierungen im Buch entschuldigt und versprochen, im Amt Politik und Religion zu trennen. Und so war die Schlüsselübergabe für 18:00 Uhr im Sambadrom vereinbart. Doch der Termin verstrich und keine Spur, weder von Crivella noch vom Schlüssel. Auch um 20:00 Uhr noch das gleiche Bild. Endlich, nach zweieinhalb Stunden erschien der Kulturreferent von Rio mit dem Schlüssel: Crivella lasse sich entschuldigen, er müsse sich um seine Frau kümmern, die unter einer schweren Grippe leide. Dass für Crivella Erkrankungen jeglicher Art keine medizinische Ursache hätten, sondern spirituelle, könnte zwar die notwendige Anwesenheit Crivellas an der Seite seiner Frau erklären würde, jedoch nicht ihre plötzliche Erkrankung. Trotzdem wünschen wir Frau Crivella von hier aus Gute Besserung!
Natürlich hätte sich Crivella im Vorfeld entschuldigen lassen können, und um Toleranz zu bitten, dass für ihn persönlich eine Teilnahme am Karneval seinem Glauben widerspreche. Doch für einen fanatischen Fundamentalisten ist Toleranz genauso Teufelswerk, wie andere Religionen oder der Karneval.
Die Parade Sambaschulen – Höhepunkt des Karneval
Bei dem Wettbewerb im Sambadrom gab zwei schwere Unfälle, bei den jeweils einer der Wagen einer Schule in eine Menschengruppe rutschte. Dabei gab es etliche Verletzte, von diesen sind mehrere schwer verletzt. Und ich möchte den Verletzten von hier aus Gute Besserung wünschen.
Agrolobby gegen Sambaschule
Verletzungen anderer Art verursachte die Sambaschule Imperatriz Leopoldinense, denn ihr Thema war in diesem Jahr der Schutz der indigenen Völker am Rio Xingu. Großgrundbesitzer und Agrarlobby fühlten sich beleidigt und richteten wütende Proteste an die Adresse der Sambaschule. Die Agroindustrie sei ein wichtiger Faktor der brasilianischen Wirtschaft und schaffe viele Arbeitsplätze. Brasilien müsse stolz sein auf seine Agroindustrie, anstatt sie in den Dreck zu ziehen. Der Großgrundbesitzer und Senator Ronaldo Caiado drohte mit juristischen Konsequenzen und forderte die Einsetzung einer staatlichen Kommission, die die Programme der Sambaschulen und ihre staatliche Förderung überwachen sollte.
Ein Teil des Protestes beruhte jedoch auf einem Missverständnis: Der Samba kritisiert das „Belo Monstro“, das den Indigenen das Land raubte. Die Agrolobby bezog den Begriff auf die Landwirtschaft, jedoch steht dieser für den Monsterstaudamm Belo Monte, der weite Teile des Rio Xingu zerstört. Dass sich Caiado bei „Monstro“ angesprochen fühlt, liegt aber vielleicht auch ihm und seiner Geschichte. Immerhin sehen nahe Verwandte von ihm auf der Lista Suja, die das Ausnutzen von Sklavenarbeit dokumentiert. Und er selbst ist Autor eines Gesetzesvorschlags, der die Definition von Sklavenarbeit aufweichen soll. Aber Caiado und seine Familie sollte vielleicht Thema einer eigenen Sendung werden.
Allegorien im Sambadrom
Der Samba Enredo der Sambaschule Salgueiro, „A Divina Comedia do Carneval“, ist einer der kürzeren Samba Enredos. Aber eigentlich geht auch dieser Samba eine dreiviertel Stunde oder länger. Je nachdem wie lange die Schule für den Zug durchs Sambadrom braucht. Der Samba und der Zug haben ein gemeinsames Thema, das aber nicht wie in Deutschland mit einem Bild auf einem Wagen dargestellt wird. Der Zug besteht aus 6 Wagen, sechs Gruppen und etwa dreißig Sektionen, die die Geschichte illustrieren, die der Samba erzählt. Sowohl die Wagen als auch die Kostüme sind allegorische Darstellungen. Und bei Salgueira bezogen sie sich auf die Allegorien in Dantes „Göttlicher Komödie“.
Während bei Salgueira die Allegorien parallel zu ihrem Vorbild liefen, war es bei Imperatriz Leopoldinense teilweise weitaus komplexer. Auch hier bezogen sich viele allegorische Darstellungen auf Allegorien aus den indigenen Weltsichten, jedoch verwiesen sie auf reale Darstellungen, die sich wieder allegorisch auf die mythische Welt beziehen.
Kuarup, das wichtigste Ritual am Rio Xingu
In der ersten Linie kommen die Tänzer des Comites de Frente, die eine ausgefeilte Choreographie tanzen, den gerade der erste Eindruck ist wichtig, auch für die Punktevergabe. Bei Imperatriz stellten die Tänzer einen Reihentanz des Rituals Kuarup vor. Der darauffolgende Wagen in Form eines traditionellen indigenen Hauses lokalisierte die Vorstellung in einem indigenen Dorf am Rio Xingu. Darauf folgte eine Tänzergruppe, die Baumstämme trugen, die Baumstämme, aus denen beim Kuarup, die Toten auferstehen sollten. Auch der Anfang des Samba Enredo bezieht sich auf das Kuarup. Der Text erwähnt eben die Stämme und das Gebet und die Magie des Paje.
Es folgen das Paar des Mestre de Sala und der Porta Bandeira, die von der Choreographie des klassischen Samba vorgegeben sind, aber in ihrem Tanz auch das Glück und die Freude im Dorf darstellen. Eine der gelungensten Umsetzungen indigenen Denkens sie drei Tänzersektionen: Ala do Guerreirro Gaviao, Ala da Harmonia da Terra und Ala do Tucumare. Sowohl die Bezeichnungen als auch die Kostüme beziehen sich sowohl auf die indigenen Tänze, die wiederum die mythischen Pajes darstellen. Mächtige und unsterbliche Wesen, als auch auf die realen Tiere, die auch wieder diese mythischen Wesen repräsentieren. Der Samba singt dabei vom Leben, das sein Paradies gefunden hat.
Die Weißen entdecken das Paradies
Doch die Weißen entdecken dieses Paradies und ein Wagen stellt weiße Abenteurer und Eroberer dar. Es folgt eine Tanzgruppe mit Kostümen die Skelette darstellen mit blutunterlaufen aus dem Körper herausgetretenen Augen. In der indigenen Darstellung böse Geister, die für Krieg, Tod und Verderben stehen. Ein weiterer Wagen mit einer riesigen Schlange, die die Menschen erwürgt, ihnen die Luft und den Raum nimmt. Würgeschlangen leben im oder am Wasser und stehen in der indigenen Mythologie oft für Wasser. Die Schlange, die den Menschen die Luft zum Atmen nimmt und den Raum zu leben: Belo Monte, der Monsterstaudamm, der weite Teile des Flussgebiets des Rio Xingu zerstört. Und der Samba singt von Kariben, die das Paradies entdeckt haben, vom Herzen Brasiliens, das blutet, vom Belo Monstro, das die Erde geraubt hat.
Raoni Metuktire
Eine weitere Allegorie bezieht sich allerdings nicht auf die indigene Mythologie, denn die Trommeln als Nachrichtenübermittler sind Bestandteil der afrikanischen Kulturen und weniger der Indigenen. Doch der Bezug ist klar, die 350 Mann der Bateria, der Trommlergruppe tragen Kostüme und Masken, die Raoni Metuktire darstellen. Raoni ist ein Anführer des Volkes Kayapo, der wichtigste Anführer der Völker am Rio Xingu – und wohl weltweit der bekannteste Anführer der indigenen Völker Brasiliens. Er ist Krieger, Anführer und Botschafter. Und er ist selbst auf dem Karnevalszug anwesend, auf einem Wagen zusammen mit anderen Anführern der Völker am Rio Xingu. Ich bin der vergessene Sohn dieser Welt, meine Farbe ist das Rot des Schmerzes, mein Gesang ist mutig und stark, doch meine Hymne verkündet Frieden und Liebe: Ich bin der letzte der unsterblichen Krieger, der wahre Herr dieses Bodens, der erste Samen der wahren brasilianischen Seele, …
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Der Refrain des Samba Enredo
Beeindruckend die Gestaltung des Karnevalszugs, und beeindruckend das Resümee des Zuges, der Refrain des Samba Enredo:
Rettet das Grün des Xingu - Die Hoffnung
Das Saatgut des Morgen - Das Erbe
Der Ruf der Natur
Wird in unsrer Stimme weiterhallen: Beschützen!
Salve o verde do xingu - a esperanca
A semente da amanha - heranca
O clamor da natureza
Nossa voz vai ecoar - preservar
Bildquellen
- Rio Carneval 2017: © https://klausreuss.manaus.br
Ich muss zugeben, dass ich mich noch nie tiefgehender mit dem Karneval in Rio auseinandergesetzt habe. Daher war mir nicht klar wie viel Politik dahintersteckt. Das der Karneval eine politische Plattform bietet und die Möglichkeit zur Kritik, ist bekannt, aber die ganzen Folgen für die Aktivisten sind wirklich traurig und erschreckend.
Es ist immer wieder super wie viel man von deinen Beiträgen mitnehmen kann!
Viele Grüße, Kuno
Hallo Klaus,
danke für diesen Artikel. Das ist ja wirklich interessant mal zu Erfahren was eigentlich hinter den bunten Kostümen und der guten Laune steckt.
Liebe Grüße
Jessica
Hallo Klaus,
wow – wenn man sich mal so eingehender mit dem Karneval in Rio beschäftigt, steckt da ja doch viel mehr dahinter, als die bunten Kostüme vermuten lassen. Dein Artikel ist wirklich super interessant. Auch von den schweren Unfällen hatte ich bisher gar nichts mitbekommen und hoffe natürlich auch das Beste für die Betroffenen.
Herzliche Grüße,
Jessi
Hi Klaus,
ich habe mich ehrlich gesagt noch nie richtig damit auseinandergesetzt. Spannend, was alles daintersteckt! Danke für den informativen Artikel.
Liebe Grüße
Luisa
Hallo Klaus,
bei uns hier in Europa gibt es zum Karneval in Rio maximal einen kurzen Bericht in den Nachrichten, bei dem tanzende hübsche Frauen in bunten Kostümen zu sehen sind. Was sich da hinter den Kulissen abspielt wusste ich gar nicht. Danke für diesen interessanten Bericht.
Liebe Grüße aus Kärnten, Anita
Lieber Klaus,
wow, danke dir für diesen ausführlichen und erleuchtenden Artikel. Dass doch so viel hinter dem Karneval in Rio steckt hätte ich absolut nicht gedacht.
Ich muss Anita komplett beipflichten. Schade, dass wir hierzulande so wenig darüber wissen, weil es auch in den Nachrichten nicht wirklich thematisiert wird.
Viele liebe Grüße
Kathi
Hey Klaus,
als Berlinerin ist Fasching/Karneval überhaupt nicht mein Thema. Ich habe jahrelang in einer kita gearbeitet und für die Kids mitgemacht. ABER ich gebe zu Rio und sein Karveval gehört zu den Dingen, die mich echt reizten. Ich liebe Samba, die Kostüme wirken immer nur toll und es sieht nach so viel Lebensfreude aus.
Schade, dass auch hier die Politik sich einmischt und inzwischen alles so kommerziell geworden ist.
Dein Bericht spiegelt wieder was mir zwei Brasilianer auf der ITB gesagt haben. Wir haben über die Unfälle gesprochen, die hier in den Medien thematisiert wurden. Sie haben nur müde die Schulter gezuckt: „Bei der Masse an Menschen passiert immer irgendwas and it´s part of the whole political game…
Spannender Bericht. Danke
Na ohne Pannen geht wohl nichts. Sich nach paar Stunden nicht blicken zu lassen gehört wohl nicht nur in Deutschland nicht zur guten Tugend. Ob es wirklich um Krankheit geht oder was wohl wirklich dahinter steckt kann man nur erahnen. Beim Karneval liebe ich es, wie sowohl unschöne Geschichte als auch politisches Geschehen in Tanz, Kostüm und Extase dargeboten wird.
Danke fürs Teilen und liebe Grüße!
Hallo Klaus,
ich hatte mal eine brasilianische Mitbewohnerin und sie hat mir auch schon das ein oder andere vom weltbekannten Karneval erzählt. Ich glaube, wer noch nie dort war, kann sich gar nicht ausmalen, welch Treiben dort herrscht. Ich finde deinen Beitrag sehr authentisch und aufschlussreich – gerade auch weil du Land und Leute schon viele Jahre kennen und erfahren gelernt hast und hinter die Fassade der guten Stimmung schaust. Meine brasilianische Mitbewohnerin hat vielleicht auch vieles beschönigt.
Viele schöne Grüße,
Stefanie