Die Ernennung von Alexandre de Moraes für den Obersten Gerichtshof
Im Allgemeinen wird der Fall Lava Jato dem Richter Sergio Moro zugerechnet. Doch Moro ist Bundesrichter an einem Regionalgericht und damit nur zuständig für Angeklagte, die nicht über ein sogenanntes Foro Especial verfügen. Ein Foro Especial entspricht teilweise dem deutschen System der Immunität, aber nur teilweise. Denn gegen Abgeordnete, Senatoren und Mitglieder der Regierung kann durchaus ermittelt werden, allerdings nur vom Obersten Gerichtshof STF. Betroffen sind viele Angeordnete und Senatoren, der damalige Senatspräsident Renan Calheiros und auch sein Nachfolger Eunicio Oliveira, einige Minister, darunter der scheidende Außenminister José Serra und sogar der Staatspräsident Michel Temer selbst.
Am 18.Januar stürzte nahe der Kleinstadt Paraty ein Kleinflugzeug ab. Alle Insassen starben. Unter den Insassen war Teori Zavascki, Mitglied am Obersten Gerichtshof STF, und dort zuständig für den Bestechungsskandal Lava Jato, also für Personen im Fall Lava Jato, die über das Foro Especial verfügen. Zur Zeit des Absturzes waren in Brasilien Sommerferien. Nach den Ferien wollte Zavascki über die Veröffentlichung von 70 Kronzeugenaussagen entscheiden.
Die Absturzursache ist bis heute ungeklärt, allerdings gibt es widersprüchliche Angaben zu Hergang, die dazu führten, dass über achtzig Prozent der brasilianischen Bevölkerung an einem Unfall zweifelt, genauso wie an einer Aufklärung, wenn es denn kein Unfall war. Um so brisanter ist die Regelung der brasilianischen Verfassung, dass über den Nachfolger der Staatspräsident entscheidet. Also genau jener Michel Temer, der im Zentrum der Ermittlungen stand.
Journalisten, aber auch viele Juristen bis hin zur Anwaltskammer OAB vertraten die Auffassung, dass in diesem Sonderfall der Staatspräsident nicht zur Ernennung eines Nachfolgers berechtigt wäre. Die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs STF, Cármen Lúcia, nahm jedoch etwas von der Brisanz aus der Ernennung, indem sie beschloss, den Fall Lava Jato einem aktuellen Mitglied des STF zu übergeben. Damit trat sie auch Befürchtungen entgegen, dass die Ernennung eines neuen Mitglieds des STF die Ermittlungen im Fall Lava Jato weiter verzögern würde. Bezeichnend für das Misstrauen, das Politik, aber auch der Justiz in Brasilien entgegenschlägt: Die Vergabe erfolgte per Losentscheid, um den Verdacht der Parteinahme bei der Auswahl des zuständigen Richters nicht aufkommen zu lassen. Und Cármen Lúcia selbst, die Vorsitzende des STF, entschied die Veröffentlichung der Kronzeugenaussagen.
Trotzdem fällt die Entscheidung des Staatspräsidenten Temer ins Gewicht, denn viele der Entscheidungen des STF bedürfen der Mehrheit der Richter. Und mit der Ernennung eines ihm wohlgesonnenen Richters verschieben sich die Mehrheitsverhältnisse zu Temers Gunsten. Und folgerichtig fiel die Wahl Temers auf einen Getreuen, den amtierenden Justizminister Alexandre de Moraes. Moraes war bis zum Tag der Nominierung Mitglied der PSDB, Temers wichtigstem Koalitionspartners und Parteifreund unter anderem des Außenministers José Serra. Damit verschob er nicht nur die Mehrheitsverhältnisse im STF, er stärkte auch die Bindung zum Koalitionspartner.
Doch wer ist Alexandre de Moraes? Der 1968 geborene Jurist ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Er legte 1990 sein Staatsexamen an und promovierte 2000 in Verfassungsrecht. In den neunziger Jahren arbeitete er für die Staatsanwaltschaft São Paulo und wechselte in den nuller Jahren in die Politik. Er übernahm Ministerposten im Land São Paulo unter den Gouverneuren Alckmin und Jose Serra, darunter die Zuständigkeit für den öffentlichen Nahverkehr. In diese Zeit fällt ein Skandal überhöhter Zahlung der Verwaltung an die Transcoop, die Kooperative der Kleinbusse, die weithin den ÖPNV in den Vororten abwickelt.
Im Jahr 2010 gründete er eine Anwaltskanzlei, die unter anderem die Transccop vertrat. Im Jahr 2013 war die Transcoop in einen Skandal verwickelt, als sich der Stadtrat von der PT mit Mitgliedern des Drogenkartells PCC im Sitz der Transcoop traf, die von der PCC kontrolliert wurde. Moraes sagt, dass er während seiner Tätigkeit für die Transcoop weder am Prozess zu den überhöhten Zahlungen staatlicher Stellen, noch zu anderen brisanten Themen teilgenommen hat, sondern lediglich an Zivilprozessen, die Verkehrsunfälle betrafen. Wie glaubhaft es ist, dass ein Jurist und Staatsrechtler mit einer steilen Karriere sich ausgerechnet um Verkehrsunfälle kümmert, muss jeder für sich selbst beantworten. Gerade weil er keinen Bogen um brisante und prominente Fälle machte, denn er vertrat auch den späteren Präsidenten des Abgeordnetenhauses Eduardo Cunha in einem Strafverfahren, in dem es um Urkundenfälschung ging. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass er nichts von den Verstrickungen der Transcoop mit der Mafia wusste, denn sogar ich als Ausländer, wusste schon 2011 über die Verbindung der Kleinbuskooperativen Bescheid.
2014 kehrte er als Landesminister für Sicherheit in die Politik zurück und wurde 2016 Bundesjustizminister. Nach dem Tod von Teori Zavascki nominierte ihn Staatspräsident Temer als dessen Nachfolger für den Obersten Gerichtshof. Am selben Tag legte er seine Mitgliedschaft in der Partei PSDB nieder, um politische Neutralität zu demonstrieren. Die Nominierung musste noch vom Senat bestätigt werden, jedoch verfügt die Regierungskoalition über eine deutliche Mehrheit, sodass dies keine Hürde darstellte. Der Senat stimmte am 22. Februar mit 55 zu 13 Stimmen für die Ernennung von Moraes zum Richter am STF.
Bildquellen
- Der Oberste Gerichtshof STF: © https://klausreuss.manaus.br
- Palacio de Justicia: © https://klausreuss.manaus.br
Kommentare
Die Ernennung von Alexandre de Moraes für den Obersten Gerichtshof — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>