Anklage gegen Ex-Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva
Anfang März ließ der Richter Sergio Moro den früheren Präsidenten Lula verhaften und zu einem dreistündigen Verhör bringen. Später ließ er ein Telefonat zwischen Lula und der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff abhören, und die Mitschnitte veröffentlichen. Im Gegensatz zu Lula, der zu diesem Zeitpunkt ohne öffentliches Amt war, galt für die Staatspräsidentin jedoch der Schutz eines „Foro Especial“, der sie vor Ermittlungen durch untergeordnete Instanzen wie einen Juiz Federal schützten. Daraufhin wurden gegen Moro Ermittlungen wegen Verstößen gegen die Strafprozessordnung eingeleitet.
Am 22. September stellte das zuständige Gericht Tribunal Regional Eleitoral von Curitiba (TRE-4) das Verfahren gegen den Juiz Federal Sergio Moro mit 13:1 Stimme ein. In der Urteilsbegründung heißt es, dass der Fall Lava Jato „inedita“ wäre, als dazu kein Präzedenzfall vorläge. Denn die brasilianische Rechtsprechung basiert, ähnlich der in den USA weitgehend auf der Entscheidung von Präzedenzfällen.
Sergio Moro und die PSDB
Zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Ermittlungen war die Familie Sergio Moros. Sein Vater war Gründer einer lokalen Einheit der Partei PSDB. Und Moros Frau, bestreitet zwar, als Anwältin der PSDB gearbeitet zu haben, gibt jedoch zu, für Personen gearbeitet zu haben. Und das Mandat niedergelegt zu haben, weil sie nicht bezahlt worden sei. Auch Moro selbst bestreitet jegliche Verbindung zur PSDB, obwohl er zum Beispiel an einem Abendessen mit Wirtschaftsvertretern teilgenommen hat, das vom Bürgermeisterkandidaten der PSDB in São Paulo, João Doria, organisiert wurde.
Preta Neto und die PSDB
Am 17. März 2016 suspendierte der Richter Itagiba Catta Preta Neto die Ernennung Lulas zum Chef der Staatskanzlei. Damit verhinderte er, dass Lula unter dem Schutz eines „Foro Especial“ stehen würde. Das Privileg Foro especial bedeutet im Fall eines Regierungsmitglieds, dass es nicht mehr der unteren Instanz eines Juiz Federal unterworfen ist, sondern dem obersten Gericht STF.
Der Magistro Itagiba Catta Preta Neto hatte zuvor schon an den Demonstrationen gegen die Regierung Dilma Rousseff teilgenommen, und auch auf seinem Facebook-Profil sowohl Fotos davon gepostet, als auch klar parteiisch Stellung bezogen. Sein Facebook-Profil hat er kurz gelöscht, nachdem diese Posts bekannt wurden.
Auf anderen Fotos ist er zu sehen, wie er am Wahlkampf des 2014 unterlegenen Kandidaten Aécio Neves teilnimmt. Laut Verfassung ist eine Parteinahme eines Mitglieds des STF ausdrücklich verboten, und wird mit Suspendierung vom Amt und einer Sperre von acht Jahren geahndet. Itagiba Catta Preta Neto argumentierte, er würde seine Meinung als Bürger von seiner Arbeit als Richter trennen.
Das Powerpoint-Spektakel
Am 19. September trat Staatsanwalt Deltan Dallagnol mit einer Gruppe andrer Staatsanwälte vor die Presse und erklärte die Anklage gegen den E-Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva. In der Veranstaltung, die weitgehend als Spektakel gewertet wurde, bezeichnete er Lula unter anderem als „Maximo Lider“ und Organisator des Korruptionsskandals Lava Jato.
Die Argumentation war folgende: Lula hätte, um seine Regierungskoalition aufzubauen, ein System von Wohltaten durch den halbstaatlichen Konzern Petrobras errichtet. Dieser habe überhöhte Rechnungen an Baufirmen, unter anderem an Marcelo Odebrecht, gezahlt. Dieser wiederum hohe Beträge weitergegeben an Koalitionspartner von Lula.
Gehört Lula das Apartment Triplex X?
Außer diesen vagen Behauptungen, werden Lula „Geldwäsche und passive Bestechlichkeit“ zur Last gelegt. Dabei berufen sich die Ankläger auf ein Apartment „Triplex X“, das Lula einmal besichtigt hat. Tatsächlich werden im Abschlussbericht der Policia Federal der Baufirma Mossack Fonseca weitreichende Verstrickungen in Geldwäsche nachgewiesen, nicht zuletzt im Zusammenhang der Panama Papers. Der Name des Expräsidenten Lula taucht jedoch nur in zwei Aussagen auf, in denen „vom Hörensagen“ berichtet wird, der Name der Frau Lulas einmal, im Zusammenhang eines Verzichts des Erwerbs des fraglichen Apartments.
Trotzdem beschuldigt der zuständige Staatsanwalt Dallagnol den Ex-Präsidenten Lula „über Strohmänner“ Besitzer des Apartments zu sein. Er schließt damit, dass er zwar keine Beweise hat, jedoch von der Schuld Lulas überzeugt wäre.
Moro akzeptiert Anklage gegen Lula
Am 20. September akzeptierte Sergio Moro die Anklage Lulas. Eines der Probleme dabei ist, dass viele der Begünstigten der Bestechungsgelder den Schutz eines „Foro Especial“ genießen, und damit Ermittlungen gegen sie nicht in den Zuständigkeitsbereich Moros fallen. Ein Nachweis, dass über 42 % der Begünstigungen an die oppositionelle PSDB geflossen sind, würde die Behauptung widerlegen, dass Lava Jato konstruiert worden wäre um die Koalitionsregierung zu schmieden.
JD – oder was ist Überzeugung wert?
Anfang des Jahres erhob die Staatsanwaltschaft im Fall Lava Jato Anklage gegen den ehemaligen Chef der Staatskanzlei Jose Dirceu. Ein Teil der Anklage berief sich darauf, dass José Dirceu die Person sei, der unter dem Kürzel JD in den Listen, z.B. Odebrecht, die Annahme von Schmiergeldern zur Last gelegt wurde. Am 18.Mai verurteilte Sergio Moro Lulas José Dirceu zu 23 Jahren und 10 Monaten Haft. Diese Strafe reduzierte er “angesichts des Alters” auf etwa 20 Jahre.
Ende September dann verhaftete die Staatsanwaltschaft den ehemaligen Finanzminister Palocci und seinen Mitarbeiter Jucelino Dourado. Jetzt sollte Dourado “JD” sein. Neuere Untersuchungen hätten ergeben, dass die Zuordnung zu Dirceu “irrtümlich” erfolgt sei. Aber Dirceu ist schon rechtskräftig verurteilt. Ob sich an diesem Urteil jetzt etwas ändern wird, ist noch nicht bekannt.
Vorfälle wie diese zeigen, wie viel die “Überzeugungen” der Staatsanwaltschaft und des Gerichts im Fall Lava Jato wert sind. Jetzt wird gegen den Ex-Präsidenten Lula Anklage erhoben, und im Falle eines Schuldspruches in allen Punkten drohen ihm bis zu 70 Jahren Gefängnis.
Bildquellen
- president_Lula_and_marisa_2007: Ricardo Stuckert/Presidência da República (Agência Brasil)
- Platz der Drei Gewalten: © https://klausreuss.manaus.br
- justitia_vor_stf: © https://klausreuss.manaus.br
Steck sie alle in einen Sack und schlag drauf. Es erwischt immer einen schuldigen.
Hallo Karlheinz Voigt,
das ist die erste und auch nachvollziehbare Reaktion auf die ganzen Skandale, die in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit gelangten. Aber die aktuelle Situation ist eine erhebliche Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat in Brasilien.
Brasilien ist unter Lula zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte aufgestiegen und hat auch in sozialen, juristischen und gesellschaftlichen Bereichen erhebliche Fortschritte gemacht. Die Skandale und Korruption allgemein müssen natürlich aufgeklärt werden. Aber das muss in rechtsstaatlichen Prozessen geschehen. Und dabei muss sowohl vor Gericht als auch in der Öffentlichkeit die Unschuldsvermutung gelten.
Brasilien braucht weder politische Schauprozesse noch eine Militärdiktatur sondern eine Stärkung des Rechtsstaats, der Gewaltenteilung und vor allem Transparenz.
Viele Grüße
Klaus