Der Nationalpark Oberer Rio Xingu
Der Xingu-Nationalpark befindet sich im Nordosten des brasilianischen Bundesstaats Mato Grosso (MT). Er wurde 1961 auf Initiative der Brüder Villas-Boas gegründet. Er ist eines der wichtigsten Schutzgebiete der indigenen Bevölkerung in Südamerika. Auf einer Fläche von etwa 27.000 Quadratkilometern leben zurzeit wieder etwa 5.500 Menschen von sechzehn Ethnien.
Er umfasst eine Reichhaltigkeit der Kulturen und verschiedener Landschaften vom Amazonas-Regenwald bis zu Steppen. Man unterscheidet den Oberen Rio Xingu auf der einen Seite und den mittleren und unteren Rio Xingu auf der anderen Seite.
Die Geschichte der Region am Rio Xingu
Die Geschichte der indigenen Völker im Amazonastiefland ist bis heute weitgehend unbekannt. Monumentale Steinbauten wie in den Anden oder in Mittelamerika sucht man am Amazonas vergebens. Doch zeigen neueste Forschungen mit Luftbildarchäologie Bodenstrukturen, die auf eine viel dichtere historische Besiedlung schließen lassen als bisher angenommen. Datierbare Funde wie Keramikscherben belegen eine Besiedlung seit über tausend Jahren, und können teilweise Volksgruppen zugerechnet werden, deren Nachkommen bis heute am Rio Xingu leben.
Der archäologische Komplex Kuhikugo im Nationalpark umfasst zwanzig Dörfer und Städte auf einer Fläche von 20.000 km². Angenommen wird, dass hier bis zu 50.000 Menschen lebten – und damit bis zu zehnmal so viele wie heute.
Andere Völker siedelten erst spät in die Region am Rio Xingu um. Ursache dafür war meistens, dass Weiße in ihre traditionellen Siedlungsgebiete vordrangen, oder andere indigene Völker auf der Flucht vor Weißen. Auch wenn immer wieder weiße Pioniere eindrangen und es zu dabei zu massiver Gewaltanwendung gegen die Indigenen kam, wusste man noch sehr wenig über sie. Viele Völker waren bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts gänzlich unbekannt.
Karl von den Steinen – Durch Central-Brasilien (1886). Johannes Gehrts (1855-1921) [Public domain], via Wikimedia Commons
Der erste nachgewiesene Kontakt mit Weißen fand im Jahr 1884 statt. Der deutsche Forscher Karl von den Steinen trennte sich auf dem Rückweg von der Polarexpedition und machte sich in Begleitung seines Vetters und brasilianischer Soldaten auf die Suche nach einem Wasserweg, der das rohstoffreiche Mato Grosso mit der Küste von Pará verbinden würde. In einer zweiten Expedition unter Beteiligung des Ethnologen Paul Ehrenreich sammelte er viele wichtige Erkenntnisse und Materialien über die Kultur der Xingu-Völker.
Die Geschichte des Nationalparks
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann eine Welle der Modernisierung Brasiliens. Neben der Schaffung eines brasilianischen Nationalbewusstseins, das gerade deutsch- und italienisch stämmige Einwanderer unter Druck setzte, war auch die Integration der weitgehend unerschlossenen Gebiete im Westen und am Amazonas ein Ziel dieser Bewegung.
In den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt der große „Marsch nach Westen“. Während für viele noch die Integration des Landes und seiner indigenen Bevölkerung in einheitliche brasilianische Gesellschaft das Ziel waren, erkannten die Brüder Villas-Boas die Bedeutung und die Schutzwürdigkeit der indigenen Kulturen. Unterstützt von Marechal Rondon und dem Ethnologen Darcy Ribeiro starteten sie gegen den Widerstand der Regierung und der Farmer in Mato Grosso eine Kampagne, die die Abgrenzung der regionalen Territorien der Indios betrieb.
Zeitgleich richtete das Militär Landebahnen für Flugzeuge ein. Das erleichterte zwar den Zugang für Forscher und Mediziner, brachte aber im Jahr auch Gefahren für die Bewohner. Im Jahr 1954 breitete sich eine für die Indios tödliche Masernepidemie aus, die alle Dörfer betraf. Die Bevölkerung ging von 3000 Einwohnern in der Zeit von den Steinens auf etwa fünfhundert zurück.
Ursprünglich sollte der Park einen Großteil des Gebietes von Mato Grosso einnehmen und außer dem Schutz der Indigenen auch dem Umweltschutz dienen. Er wurde am 14.04.1961 dann allerdings mit einer wesentlich kleineren Ausdehnung gegründet. Eine kleinere Erweiterung erfuhr der Park im Jahr 1998, als die Territorien der Suya und der Wauja am unterem Rio Xingu anerkannt und an den Park angeschlossen wurden.
Die Aldeia (Dorf) Kuikuro Paraiso – Eingang zum Xingu-Nationalpark.
Foto: Liliam Tataxina während ihres Besuchs beim Kuarup 2012
Die Völker im Park
Als Karl von den Steinen am Rio Xingu ankam, fand er im Süden verschiedene Völker vor, die sich zwar von der Sprache unterschieden, jedoch eine ähnliche Kultur hatten. Zu den Völkern am oberen Rio Xingu zählen die Aweti, die Kalapalo, die Kuikuro, die Kayamura und die Yawalapiti. Auch die Mehinaku, die Matipu, die Nahukua, die Naravotu und die Waura leben am Oberlauf des Rio Xingu. Obwohl die Trumai weiter im Norden leben, sind auch sie Teil einer Gemeinschaft, in der reger Austausch stattfindet.
Am Mittellauf siedeln die Trumai, die Ikpeng, die Kasidje und ein Teil der Kaiabi. Die Kaiabi siedeln auch am Unterlauf des Rio Xingu. Dort befinden sich auch die Dörfer der Suya und Yudia. Die Ikpeng, die Kaiabi, die Kisedje und die Yudia unterscheiden sich in ihrer Kultur von den Völkern am oberen Xingu. Und im Norden schließt das Gebiet der Kayapo an.
Von den im Nationalpark lebenden sechzehn Ethnien lebt ein Teil seit Menschengedenken am Rio Xingu. Die Bakairi, die den Zugang von Forschern und Besuchern zum Rio Xingu kontrollierten leben jetzt südöstlich davon und betreiben Fischfang und Ackerbau wie die meisten der Carib-Völker. Andere, die Ikpeng, die Kaiapi, die Tapayuna und die Paraná wurden an den Rio Xingu umgesiedelt. Jedoch zogen sich die Tapayuna und die Paraná wieder aus dem Gebiet zurück und leben jetzt in anderen Reservaten.
Tumin Yawalapiti vom Volk der Yawalapiti beim Kuarup 2012 im Dorf Ipatse der Kuikuro. Foto: Liliam Tataxina
Das Leben im Park
Nicht nur die Kultur, auch die Nahrungsmittelproduktion unterscheidet sich nach den Regionen am Rio Xingu. Eines der Hauptnahrungsmittel am Unterlauf ist rotes Fleisch. Die Kaiabi sind darüber hinaus für ihre entwickelte Landwirtschaft bekannt. Außer der verbreiteten Maniokwurzel produzieren sie Yams, Süßkartoffeln, Kochbananen und Erdnüsse. Am Oberlauf sind Fischfang und Produkte aus der Maniokwurzel die Hauptnahrungsmittel. Die Jagd auf Vögel und Kleintiere spielt nur eine untergeordnete Rolle. Außer für den eigenen Verzehr produzieren viele Völker Honig und das Pequie-Öl für Verkauf über eine Genossenschaft.
Ein weiterer Bestandteil der Ökonomie ist die Produktion von Haushaltsgegenständen und Kunsthandwerk aus lokalen Rohstoffen wie Holz, Obstkernen und Fasern. Obwohl ein Teil der Produktion für den Tausch oder den Verkauf bestimmt ist, bleibt zu erwähnen, dass es keine strickte Trennung von Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenständen gibt. Und beide auch immer mit dem religiösen und mythologischen Hintergrund in Verbindung stehen.
Am Oberlauf des Xingu gibt es einen regen Tauschhandel, die Moitara. Dabei wird zwischen zwei Arten unterschieden. Zum eine gibt es Handel zwischen Familien des gleichen Dorfes, zum anderen einen Tauschhandel zwischen den Dörfer, der so organisiert ist, dass eine Delegation aus einem Dorf in einem anderen die Waren zum Tausch anbietet. Das Warenangebot reicht von Federschmuck und Keramik über Waffen und Kanus bis zu Lebensmitteln, Gewürzen und Haustieren. Der Handel zwischen Dörfern findet während der Trockenzeit statt.
Ein weiteres wichtiges Ereignis, das über die Dörfer hinweg stattfindet, ist das Kuarup, das Fest zu Ehren wichtiger, während des letzten Jahres Verstorbener. Weitere Rituale sind das Jawari, ein symbolischer Kampf mit entschärften Wurfpfeilen, und das weibliche Ritual Yamurikuma, bei dem die Frauen männliche Verhaltensweisen nachahmen: Vom Tragen von Waffen bis zu den Huka-Huka Kämpfen.
Flötentanz beim Kuarup im Dorf Ipatse der Kuikuro. Foto: Liliam Tataxina 2012
Die Bedrohungen des Parks
Während der achtziger Jahre begannen Jäger und Fischer auf das Gebiet des Xingu-Nationalpark vorzudringen. Die Gefahren dieses illegalen Eindringens liegt z.B. darin, dass Krankheiten eingeschleppt werden, wie schon am Beispiel der Masernepidemie zu beobachten war. In manchen Gebieten am westlichen Amazonas sind sehr hohe Infektionsraten durch Hepatitis zu beobachten sind. Auch kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Indigenen und Wilderern. Darüber hinaus ist die illegale Jagd oft auch ein schwerer Eingriff in ein sensibles Ökosystem. Ende der neunziger Jahre wurden Brandrodungen im Grenzgebiet des Nationalparks festgestellt. Auch dringen illegale Holzfäller immer häufiger in das Gebiet des Parks vor. Grund dafür ist unter anderem die verkehrstechnische Erschließung rund um den Park.
Eine besondere Gefahr stellt jedoch der Bau des Belo Monte Staudamms dar. Es entsteht ein Stausee von 40 Quadratkilometern am Unterlauf des Rio Xingu. Er wird bis an der Nationalpark grenzen. Die Auswirkungen auf die Umwelt, sowohl unterhalb des Staudamms, aber auch in der ganzen Region sind erheblich. Aber nicht nur die Auswirkungen auf die Umwelt sind verheerend. Mit den Arbeitern kommen Prostitution, Kriminalität und Krankheiten in das beschauliche Städtchen Altamira, in dem sich die Bauarbeiten konzentrieren.
Noch bedrückender ist die Vorstellung, was mit dem Strom aus den Wasserkraftwerken geschehen könnte. Denn wie bei Offshorewindparks in Deutschland fehlt es an Infrastruktur, den Strom in Ballungszentren im Südosten zu transportieren. Jedoch gibt es im Amazonasbecken erhebliche Bauxitvorkommen. Welche Auswirkungen jedoch der großräumige Bauxitabbau und die Aluminiumproduktion nicht nur den Rio Xingu sondern auf den gesamten Amazonas habe würde, möchte sich niemand vorstellen.
Ich bedanke mich bei der Fotografin und Aktivistin Liliam Tataxina für die Erlaubnis, ihre Fotos zu benutzen.
Das ist ja ein interessanter Nationalpark. Ich fände es auch total spannend in diese Welt einzutauchen.
Liebe Grüße
Christina
Hallo Christina,
schön, dass dir der Artikel gefallen hat. Ja, das ist eine faszinierende Welt. Und ich glaube, wir könnten einiges von diesen Kulturen lernen.
Liebe Grüße
Klaus